Wolfgang Fräger
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Dieter Treek, aus dem Buch "Wolfgang Fräger - Das grafische Werk", 1983



Wolfgang Fräger - Der Bergbau

Unter all den Themen, die sich wie rote Fäden durch das Werk Wolfgang Frägers ziehen, ist das Thema Bergbau fast drei Jahrzehnte lang jenes, an dem sich die bemerkenswerte gestalterische und technische Entwicklung dieses Künstlers am deutlichsten ablesen lässt.
Am Küchentisch der Bergmannsfamilie in Bergkamen entstanden seine ersten Holzschnitte. Holz war das (Abfall-)Material, das ihm mehr oder weniger kostenlos zur Verfügung stand. Ob es zersägte Schulbänke oder alte Bretter(Reste) von der Zeche waren, alles war ihm als Material willkommen. Und als Werkzeug diente ihm ein altes Küchenmesser, ein Werkzeug, von dem er sich ein Leben lang nicht trennen mochte.
[...]
„Er nahm jedes Stück Holz, dessen er habhaft werden konnte, und er arbeitet auf engstem Raum, die Holzplatte beim Schneiden auf den Knien balancierend“, erinnert sich Frau Fräger. Doch Wolfgang Fräger hatte das Glück, das seine Eltern seine früh erkannt Begabung akzeptierten und ihm im Rahmen der mehr als bescheidenen Möglichkeiten [...] unterstützten.
Als Berglehrling auf der Schachtanlage „Grillo“ hatte Wolfgang Fräger den Bergmannsberuf hautnah erfahren, bevor er die Chance zu einem Kunststudium an der Dortmunder Werkkunstschule erhielt. Und auch später – bis zu seinem Tode – lebte und arbeitete er in der Bergbaugemeinde Bönen in steter Konfrontation mit jener Industrie, die ihm in allen wichtigen Schaffensphasen immer wieder Themen und Anregungen lieferte.
Die ersten wichtigen Bergbaublätter Wolfgang Frägers entstanden 1949, als er sein Studium an der Dortmunder Werkkunstschule abschloss. Kraftvolle, expressive Holzschnitte aus diesem Examensjahr lassen noch den Einfluss einer Epoche erkenne, in der die Heroisierung des Arbeitsbildes Teil eines politischen Konzepts war, das die körperliche Arbeit leistungsmotivieren idealisierte. Während Wolfgang Fräger in jener Zeit in seinen Holzschnitten noch unter dem Einfluss des Expressionismus sehr reduziert und symbolhaft arbeitet, sind seine Radierungen differenzierter, erzählerischer angelegt. Im Jahre 1952 entsteht ein Zyklus von Kaltnadelradierungen, die unpathetisch vom Beruf des Bergmanns erzählen. In den kleinen Blättern, in denen rembrandtsche Hell-Dunkel-Effekte viel von der Arbeitsatmosphäre „unter Tage“ vermitteln, dominiert noch der Mensch, der später – bewusst oder unbewusst – mehr und mehr von der Bergbautechnik als Hauptgegenstand des Interesses verdrängt wird.
Der Darstellung der Arbeitswelt in seinen frühen Blättern folgen 1955 weitere Radierungen, in deren Mittelpunkt immer wieder die Gefahren des bergmännischen Berufs und die Angst als täglicher Begleiter der Arbeit und des Lebens der Bergmannsfamilie stehen. Diese Blätter stehen am Anfang eines Abstrahierungsprozesses, der Frägers künstlerische Arbeit bis zu Beginn der siebziger Jahre bestimmt. Die Gesichter der Menschen sind kantig, von Arbeit und Sorge gezeichnet. Im Vordergrund immer wieder menschliche Hände, die beten, arbeiten, schützen, bergen. Die Gestik der Hände der vor dem Zechentor wartenden Bergmannsfrau etwa – eines der eindrucksvollsten Blätter dieses Zyklus- vermittelt eine innere Spannung und Nervosität der bei Schichtwechsel Wartenden. Abstraktion als Mittel der Verdeutlichung.
Ein wichtiges Jahr für Wolfgang Fräger ist 1957/58. Die Aldegrever-Gesellschaft gewährt ihm ein bescheidenes Stipendium mit dem Auftrag, die Technik des Bergbaus zum Thema künstlerischer Auseinandersetzung zu machen. Doch die ersten Monate auf der Pelkumer Zeche „Heinrich Robert“ ermöglichen ihm nur Studien „über Tage“. Das Stipendium wird nach vier Monaten unterbrochen und erst in den Jahren 1959 bis 1961 auf der Marler Schachtanlage „Auguste Victoria“ fortgesetzt. Hier findet er auch die Möglichkeit, sich mit der Bergbautechnik auseinanderzusetzen, die sich in den zwanziger Jahren seit seiner Lehrzeit im Bergbau wesentlich verändert hat. Auch Frägers Einstellung zum Bergbau hat sich verändert. Ihn fasziniert die vielfältige Formensprache der Bergbautechnik und er empfindet diese dunkle Welt hundert Meter unter der Erdoberfläche als fremd und geheimnisvoll. Einzelne Elemente der Bergbautechnik treten in den Vordergrund, werden verfremdet, erinnern an unterirdische Ungeheuer und gewinnen dadurch bisweilen ein dämonisch Bedrohlichkeit. Doch je länger er sich wieder mit dem Thema Bergbau beschäftigt, um so mehr löst sachliche Distanz die anfängliche Betroffenheit ab.
In den meisten farbigen Holzschnitten des Jahres 1959 bereitet sich bereits formal die großartige „Ars Sacra-Serie“ der Jahre 1965/66 vor. Doch das Thema Bergbau scheint in diese Zeit mehr gestaltungsanlass als beherrschendes Thema zu sein. Die Welt des Bergmanns und der Menschen in ihr reduzieren sich auf Chiffren, die mehr formales Element als erzählende Inhalte sind. Der Abstrahierungsprozess schreitet fort in seinen Mezzotinto-Radierungen. Die großformatigen „Werkzeuge“ des Jahres 1967 deuten bereits die Möglichkeiten dieser für Wolfgang Fräger später so wichtigen Radiertechnik an.
Das Thema Bergbau tritt vorübergehend in den Hintergrund. Erst 1971 kommt er wieder darauf zurück. Und es scheint, als ob sich eine Fülle aufgestauter Ideen zu diesem Thema in kürzester Zeit Bahn brechen müsse. Charakteristisch für dieses künstlerisch aufregende Jahr 1971 sind seine Kugelbilder. Wie durch eine Lupe gebündelt erscheint, auf engem Raum konzipiert, eine verwirrende Vielfalt von Stollen, Strecken, Ausbauten, Gleisen, Signalanlagen… Daneben seine kugelförmigen Lichtschächte und Lichtkeile. Farbige Blätter, die wieder einmal das besondere Verhältnis des Bergmanns zum Licht thematisieren. In weitgehend aufgelösten, flächigen Darstellungen geologischer Formationen und Strukturen erprobt der Künstler hier wie in anderen Zyklen diese Jahres die besonderen Möglichkeiten einer Technik, die es ihm erlaubt, auch ohne Ätzvorgänge differenzierte Grauwerte anzulegen. [...]
Seine Versionen einer Schrämaschine oder eines Rungenwagens Anno 71 sind zugleich wieder einmal Visionen von bedrohlichen Fabelwesen, die den Angstträumen eines Bergmanns entsprungen scheinen. Dann wieder Arbeiten, die vom Gegensatz fließender Gebirgsformen und der starren Sperrigkeit des Ausbaus unter Tage leben. Holzstempel, die sich gegen den unheilvollen Druck des alles umschließenden Berges stellen. Bilder von hoher Spannung. In ihnen verdichtet sich das Thema Bergbau zu höchster symbolhafter Gültigkeit.
Zu den vielfältigen Experimenten des Jahres 1971 gehören auch jene Variationsgrafiken, die dem Betrachter innerhalb eines vorgegebenen „Programms“ die Möglichkeit boten, verändernd, quasi mitgestaltend, auf das grafische Bild Einfluss zu nehmen.
Das Bild geriet „in Bewegung“ und schuf damit eine Voraussetzung für die filmische Arbeit Wolfgang Frägers in den siebziger Jahren. Auch wenn die für seine Filme (etwa „Die babylonische Party“) entwickelten Variationsbilder mehr figurativen Charakter hatten, so stand doch zeitweilig die Bergbauthematik im Mittelpunkt von Bildern, in denen sich – von Schiebern und Hebeln horizontal und vertikal bewegt – Bildstrukturen auflösten und wieder zusammenfügten.
Auch die einzigen großformatigen Malereien Wolfgang Frägers stammen aus dem Jahr 1971. Seine in Acryl gemalten „Zeichen aus dem Ruhrgebiet“ (alle 135 x 180 cm) setzen scharfe, agressive Keile gegen weiche Flächen und Rundformen. „Die runde Form und die spitze Form entsprachen seinem innersten Wesen“, charakterisiert Mechtild Fräger ihren verstorbenen Mann, für den das Jahr 1971 die zweifellos intensivste Periode der Auseinandersetzung mit dem Bergbau war.
Dieser Formgegensatz bestimmt auch noch die Arbeiten des Jahres 1973. Themen wie „Sonne im Ruhrgebiet“ oder „Sonne hinter Gerüst“ verweisen dabei einmal mehr auf die zentrale Bedeutung des Themas LICHT im Werke Wolfgang Frägers.[...]

Text: Dieter Treek, aus dem Buch
"Wolfgang Fräger - Das grafische Werk", 1983


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weiter zum Text: Thomas Hengstenberg, Unna, den 09.03.2014 "Einführung in die Ausstellung ars sacra mit 30 Blättern aus dem gleichnamigen Holzschnittzyklus von Wolfgang Fräger am 12. März 2014 in der Unnaer Stadtkirche" -->

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